Megakolon-Syndrom
Erbliches Megakolon-Syndrom bei Weißschecken
Betreff: KIT, Genotyp KK (EnEn)
Ein angeborenes Megakolon ist eine schwere Funktionsstörung des Dickdarms, einhergehend mit einer massiven Ausdehnung vor allem im Bereich des aufsteigenden Dickdarms.
Basierend auf Veröffentlichungen von Nachtsheim (1943) und Richardson (1952, 1953) beschrieb Robinson, 19551) eine verminderte Lebensfähigkeit von homozygoten Weißschecken mit Genotyp EnEn: „A 'primae facie' case for lowered viability of the genotype would appear to be evident.“ (Auf den ersten Blick erscheint eine verminderte Lebensfähigkeit dieses Genotyps offensichtlich zu sein.)
Die Ergebnisse von Wieberneit & Wegner, 19952) verdeutlichten, dass die Schadwirkung des En-Allels bei Homozygothie - Wachstumsverzögerung, erhöhte Sterblichkeit, pathologische Veränderungen des Darms - stark vom genetischen Hintergrund, wie Modifikatorgenen oder dem Inzuchtgrad, beeinflusst werden kann. Auch Geschlecht oder sonstige Umweltbedingungen könnten eine Rolle spielen.
Nicht nur pigmentierte Kaninchen (C_EnEn), sondern auch albinotische mit ccEnEn-Genotyp waren anfällig für die Erkrankung Megakolon-Syndrom.3)
In früheren Arbeiten stellte die Gruppe um Wieberneit & Wegner (Tierärztliche Hochschule Hannover, Institut für Tierzucht und Genetik) bei Kaninchen mit EnEn-Genotyp - untersucht wurden Riesenschecken und Englische Schecken - verringerte Tageszunahmen/ Schlachtkörpergewichte (Wieberneit et al., 1991), eine reduzierte Anzahl an Nervenzellen in Teilen des Dickdarms (Gerlitz et al., 1993), sowie eine Tendenz zur Unterfunktion der Schilddrüse (Flemming et al., 1994) in Verbindung mit einer vergrößerten Nebenniere (Mahdi et al., 1992) fest.4)
Fontanesi et al., 20105) konnten EDNRB als ursächliches Gen des English-Spotting-Lokus bei Riesenschecken ausschließen, und in Folge richtete die Arbeitsgruppe ihre Aufmerksamkeit auf das KIT-Gen.
Fontanesi et al., 20146) züchteten insgesamt 138 Riesenschecken (en/en, En/en sowie En/En in der F1-Generation).
Einige dieser Riesenschecken wurden im Alter von 70 bis 75 Tagen geschlachtet und bei 50 Tieren (15x En/En, 23x En/en, 12x en/en) der Darm visuell überprüft. Alle Tiere mit En/En-Genotyp zeigten deutliche Anzeichen eines Megakolons, dagegen keines der Tiere mit En/en- und en/en-Genotyp.
Bei zehn euthanasierten Riesenschecken der F1-Generation (35 bis 40 Tage alt; 4x en/en, 6x En/En; weibliche als auch männliche Tiere) wurde mittels anatomisch-histochemischer und Genexpressions-Analyse festgestellt:
- Kaninchen mit En/En-Genotyp hatten einen deutlich erweiterten aufsteigenden Dickdarm.
- Die RNA-Transkripte des KIT-Gens aus verschiedenen Gewebeproben (aufsteigender Dickdarm, Blinddarm, Leber und Lymphknoten) waren gleich lang bei Kaninchen mit En/En- und en/en-Genotyp, d.h. es wurden keine Unterschiede beim Splicing der RNA nachgewiesen.
- In den Gewebeproben des aufsteigenden Dickdarms sowie des Blinddarms von Tieren mit En/En-Genotyp war das Transkriptions-Level des KIT-Gens im Vergleich zu Tieren mit en/en-Genotyp signifikant reduziert.
- In Gewebeproben des aufsteigenden Dickdarms von Tieren mit En/En-Genotyp wurden keine Cajal-Zellen (Vermittler zwischen Nerven und Muskeln des Gastrointestinaltrakts) nachgewiesen. Dagegen waren bei Tieren mit en/en-Genotyp Cajal-Zellen vorhanden, und diese grenzten an Muskel-Nervenfasern an.
- In Gewebeproben des aufsteigenden Dickdarms wurde eine signifikante Abnahme der Dichte bestimmter Nervenzellen bei Tieren mit En/En-Genotyp im Vergleich zu Tieren mit en/en-Genotyp festgestellt.
- Bei der elektronenmikroskopischen Untersuchung wurden im gesamten (insbesondere dem aufsteigenden) Dickdarm von Tieren mit En/En-Genotyp im Vergleich zu Tieren mit en/en-Genotyp kaum Cajal-Zellen gefunden, und die meisten dieser Zellen wiesen stark veränderte Eigenschaften auf; Kontakte zwischen Nervenenden und Cajal-Zellen waren nur selten zu sehen.
Auch Nervenzellen im Darmgewebe von Tieren mit En/En-Genotyp waren abnorm verändert.
Außerdem wurden Riesenschecken (3x En/En, 3x En/en, 3x en/en der F1-Generation) sowie Kaninchen verschiedener Rassen (ANCI, Italien) zur Sequenzierung ihrer DNA herangezogen. Zunächst wurde ein Einzelnukleotidpolymorphismus (SNP; g.93948587T>C in Exon 5, oryCun2.0) identifiziert und dann genotypisiert:
- Bei allen Riesenschecken mit En/En-Genotyp wurde der SNP-Genotyp T/T,
- bei allen einfarbigen Riesenschecken mit en/en-Genotyp wurde der SNP-Genotyp C/C und
- bei allen Riesenschecken sowie allen (drei) Rheinischen Schecken mit En/en-Genotyp wurde der SNP-Genotyp T/C nachgewiesen.
- Bei Kaninchen anderer Rassen und mit unterschiedlicher Fellhaarfarbe (nicht gescheckt oder gescheckt) waren alle drei SNP-Genotypen vorhanden, aber keinem Phänotyp zuordenbar.
- Bei allen Englischen Schecken (nicht gescheckt oder gescheckt) wurde der SNP-Genotyp C/C nachgewiesen.
Demnach (vollständige Co-Segregation des SNP-Genotypen mit der Punktscheckung bei Riesenschecken) wäre tatsächlich das KIT-Gen an der Ausprägung der Punktscheckung bei Riesenschecken beteiligt.
Bei der anschließenden Resequenzierung eines Großteils des KIT-Gens bei ausgesuchten Tieren mit En/En- [original: En/en, Anmerkung KH], En/en- und en/en-Genotyp wurde ein Haplotyp („Haplotyp 1“) identifiziert, der als English-Spotting-Haplotyp bei Riesenschecken in Betracht gezogen werden könne, der bei Homozygotie zu einer Reduktion der farbigen Bereiche des Fells und einem Megakolon führt.
Fontanesi et al., 2014 bestätigten mit ihren Ergebnissen einen Zusammenhang des KIT-Gens mit der Punktscheckung und untermauerten die Vermutung, dass KIT (Genotyp En/En) ein treibender Faktor für die Entstehung eines erblichen Megakolons darstellt, indem es Cajal-Zellen und das enterische Nervensystem verändert.
Die für die Ausprägung der Punktscheckung ursächliche Mutation im KIT-Gen konnte in dieser Arbeit allerdings nicht identifiziert werden.
Ballan et al., 20237) identifizierten bei Riesenschecken (ANCI, Italien) - übereinstimmend mittels vier verschiedener Methoden (|iHS|, XP-EHH, PCAdapt, FST) - eine genomische Signatur, die mit dem Gen PTPN2 assoziiert ist. Sie spekulierten über eine potentiell epistatische (korrigierende) Rolle im Zusammenhang mit KIT und einem Megakolon.
1 1 133