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physiologie:darmflora

Darmflora

Die Gesundheit des Darms wird durch drei wesentliche Faktoren bestimmt1):

  1. Nahrung,
  2. Darmschleimhaut, bestehend aus dem Epithel (Zellgewebe) und der darüber liegenden Schleimhaut (Mukosa),
  3. symbiotische Darmflora.

Hinzuzufügen wären noch die Haltungsbedingungen, wenn sie z. B. Stress verursachen. Im Magen-Darm-Trakt existiert ein eigenes Nervensystem, welches größer als das im Rückenmark ist und über den „Nervus vagus“ mit dem Gehirn in Verbindung steht. Dieses Darmnervensystem wird auch als „enterisches Nervensystem (ENS)“ bzw. „Bauchhirn“ bezeichnet2). Forschungen über den Zusammenhang von Hormonen und Nervenzellen sowie den Schnittstellen des Gehirns zum Darm-Immunsystem (Darm-Hirn-Achse) stehen aber noch am Anfang.

Die Darmflora eines gesunden Organismus ist dadurch gekennzeichnet, dass bestimmte, typische Bakterien überwiegen. Sie erfüllen damit eine „Statthalter“-Funktion, die es anderen, fremden und möglicherweise pathogenen Bakterien erschwert, sich anzusiedeln. Diese Funktion wird durch die Nahrung bzw. durch das Substrat gewährleistet, von dem sich die etablierten Bakterien ernähren. Auf Grund ihrer überwiegenden Anzahl und dem Mangel an dem Substrat, von dem pathogene Keime profitieren könnten, bleibt die gesunderhaltende Darmflora stabil.

Unterschieden werden Bakterien unter anderem mit Hilfe einer Methode, die „Gram-Färbung“ genannt wird. Damit erfolgt eine Charakterisierung aufgrund des unterschiedlichen Aufbaus der Zellwand, aus der chemische und physikalische Eigenschaften resultieren. Dies ist bedeutend, weil grampositive und gramnegative Bakterien oft nur mit unterschiedlichen Antibiotika bekämpft werden können. Grampositive Bakterien (dicke Zellwand) erscheinen nach der Behandlung dunkelviolett, gramnegative (dünne Zellwand) rot.

Tabelle 6: Beispiele für Bakterien des Kaninchens und ihre bevorzugten Substrate, nach Boulahrouf, et al., 19913), Munk, 20084) und von Engelhardt, et al., 20155)

grampositive Bakterienbevorzugte Substrate
Ruminococcus albusCellulose, Xylan
Ruminococcus flavefaciensCellulose, Xylan
Streptococcus equinusStärke, lösliche Zucker, Succinat, Protein
Eubacterium ruminantiumlösliche Zucker
Eubacterium cellulosolvensCellulose, Hemicellulose
Lactobacillus ruminislösliche Zucker
Lactobacillus vitulinuslösliche Zucker
Clostridium spp.Cellulose, lösliche Zucker, Protein
Clostridium perfringensZucker, Protein
gramnegative Bakterienbevorzugte Substrate
Bacteroides ruminicolaHemicellulose, Pektin, Xylan
Bacteroides succinogenesCellulose, Stärke
Butyrivibrio fibrisolvens (Clostridium)Cellulose, Xylan
Escherichia colilösliche Zucker, Stärke
Prevotella ruminicolaPektin, Xylan
Succinimonas amylolyticaStärke, Dextrin

Kaninchen werden praktisch steril geboren. Die Besiedelung mit Bakterien stellt deshalb einen natürlichen, dynamischen Prozess dar, der auch Voraussetzung für die Entwicklung des Immunsystems ist. Gemeinsam mit Protozoen, Archaeen und Pilzen bilden Bakterien den Hauptanteil der Darmflora. Nach der Geburt verfügt das Kaninchen über Bakterien, die es über die Muttermilch erhält oder die aus der Umgebung stammen. Dazu gehören auch Bakterien aus Kotbällen, die die Mutter am Nest hinterlässt und die von den Jungtieren beknabbert werden6). Nach Boulahrouf, et al., 19917) beginnt der Prozess der Etablierung celluloseabbauender Bakterien 12-16 Tage nach der Geburt, wobei die Spezies „Eubacterium cellulosolvens“ überwiegt. Wenn der Celluloseanteil im Futter von 11% auf 17% stieg, wuchs die celluloseabbauende Bakterienpopulation um das Zehnfache. Acht Bakterienstämme, die Xylan und zwölf, die Pektin abbauen, wurden der Spezies „Bacteroides ruminicola“ zugeordnet. Nach dem 25. Tag der Geburt hatte sich die Darmflora (Dünn- und Dickdarm) stabilisiert, die frühere überwog aber noch immer. Das heißt, die ursprüngliche Darmflora blieb erhalten und wurde durch Bakterien ergänzt, die Cellulose, Hemicellulose und Xylan abbauen.

In einem „Review“ von Kieckhäven, et al., 20168) wurde konstatiert, dass im Darm von Kaninchen keine „Lactobazillen“ nachweisbar wären, wie es bei anderen Säugetieren der Fall sei. Als Beleg wurde ein Artikel von Fortun-Lamothe, et al., 20079) angeführt, also ein weiterer „Review“ als verkürzte Wiedergabe von Ergebnissen aus einer Menge von weiteren Arbeiten. Festgestellt wurde ein Widerspruch zu Ergebnissen anderer, später erschienener Arbeiten bzw. untersuchter Proben. Es wurde vermutet, dass dieser Widerspruch darauf zurückzuführen wäre, dass verschiedene Kotsorten untersucht wurden: in einem Fall handelte es sich um Blinddarm-, im anderen Hartkot. Die älteste Arbeit in dem Review stammt aus dem Jahr 2007, war also zum Zeitpunkt des Erscheinens des Review gerade 9 Jahre alt. Zur Erklärung bzw. Auflösung des Widerspruchs: im Jahr 1974 erschien in Deutschland eine Veröffentlichung zum Thema der bakteriellen Darmflora wachsender Kaninchen von Weber, et al., 197410), deren Ergebnisse sich auf eine Dissertation von Christ-Vietor, 197311) stützten. Untersucht wurde dort der Einfluss verschiedener Futtermittel und Haltungsmethoden, weshalb die Ergebnisse von vielen anderen Veröffentlichungen mit Labortieren und Industriefuttermitteln abwichen, in denen die Tiere unter Laborbedingungen (Käfighaltung) mit Pellets ernährt wurden. In der Untersuchung gab es vier Gruppen von Kaninchen, die Probennahme erfolgte direkt aus dem Körper (also unabhängig vom Kot):

  • Gruppe I: 5-8 Tage alt, die Ernährung bestand nur aus Muttermilch, die Muttertiere erhielten pelletiertes Fertigfutter und Trinkwasser ad libitum; Bodenhaltung auf Einstreu. Nachgewiesen wurden: Kokken, coliforme Keime, anaerobe Laktobazillen, Bacteroides
  • Gruppe II: 3-4 Wochen alt, zusätzlich zum pelletierten Fertigfutter täglich frisches Grünfutter (Gras, Löwenzahn, Mohrrüben, Kartoffelschalen) und Trinkwasser ad libitum, Bodenhaltung. Nachgewiesen wurden: Kokken, Bazillen, aerobe und anaerobe Laktobazillen, coliforme Keime, Clostridien, Bacteroides
  • Gruppe III: 6 1/2-8 Wochen alt nach dem Absetzen in der 3.-4. Lebenswoche, Bodenhaltung, Heu und täglich frisches Grünfutter ad libitum. Nachgewiesen wurden: Kokken, Bazillen, aerobe und anaerobe Laktobazillen, coliforme Keime, Clostridien, Bacteroides
  • Gruppe IV: 6 1/2-8 Wochen alt. Nach dem Absetzen in der 4.-6. Lebenswoche einzeln in Metallkäfigen mit Drahtböden, pelletiertes Fertigfutter und Trinkwasser ad libitum. Nachgewiesen wurden: Kokken, Bazillen, coliforme Keime, Bacteroides.

Bakterien der Gattung Bacteroides machten, unabhängig von Alter und Fütterung der Tiere, mengenmäßig stets den größten Anteil aus. Anaerobe Laktobazillen waren bei allen Kaninchen, außer bei den nur mit pelletiertem Fertigfutter ernährten Tieren (Gruppe IV) nachzuweisen. Aerobe Laktobazillen wie „Lactobacillus Beijerinck“, die in Grünpflanzen vorkommen, und Clostridien fanden sich nur bei mit Grünfutter ernährten Jungkaninchen (Gruppe II und III), während sie im Darminhalt von nur mit Muttermilch (Gruppe I) und nur mit Pellets (Gruppe IV) ernährten Kaninchen stets fehlten. Anaerobe Laktobazillen kamen nur in den Gruppen, die mit Grünfutter ernährt und auf Boden gehalten wurden, vor. Das Auftreten aerober und anaerober Laktobazillen bei Kaninchen war also ernährungsbedingt und stand im Zusammenhang mit der Grünfutterverabreichung, denn sie kommen nun einmal in oder auf frischen Pflanzen vor. Die Lösung des Widerspruchs im Review von Kieckhäven, et al., 2016 war also eigentlich schon vor über 40 Jahren bekannt, blieb aber unberücksichtigt. Besonders bedenklich ist das Vorhandensein der Laktobazillen bei einer Grünfütterung natürlich nicht, eher im Gegenteil. So wurde z. B. von Blomberg, et al., 199312) nachgewiesen, dass Laktobazillen die Ansiedlung und Vermehrung von E. coli Bakterien verhindern, indem sie intestinale E.coli Bakterienrezeptoren blockieren.

Laktobazillen bauen Kohlenhydrate zu Milchsäure ab, weshalb dieser Vorgang auch „Milchsäuregärung“ genannt wird. Da sie mit ihren Stoffwechselprodukten die Lebensbedingungen pathogener Mikroorganismen verschlechtern, gelten sie als „probiotisches“ Bakterium.

Definitionen für Pro- und Präbiotika, aus Biesalski, et al., 201013):

  • Probiotika: „Ein lebender mikrobieller Zusatz, der für die Gesundheit von Vorteil ist“.
  • Präbiotika: „Durch körpereigene Enzyme nicht abbaubarer Nahrungsbestandteil, dessen Verzehr vorteilhaft für den Anwender ist, da er selektiv das Wachstum und/oder die Aktivität einer einzigen oder weniger Bakterienspezies im Kolon stimuliert“.
  • Synbiotika: Die Kombination aus Pro- und Präbiotika.

Der Magen ist die erste „Auffangstation“ für Keime (Bakterien) jeder Art. Sein niedriger pH-Wert und Enzyme töten weitestgehend schädliche Bakterien ab, die über das Futter oder aus der Umwelt aufgenommen werden. Die Milch der Häsin ist so gut wie steril und wird erst bei der Aufnahme durch Bakterien kontaminiert, die z. B. an den Zitzen haften können. Da Laktobazillen eine hohe Säuretoleranz aufweisen, überstehen sie auch den Magen mit seinem niedrigen pH-Wert. Sie selbst produzieren wiederum Substanzen, die den pH-Wert im Dickdarm regulieren, der bei gesunden Tieren <7 ist. Sie sind also auch ein wichtiger Regulator für den pH-Wert im Blinddarm.

In auffallendem Gegensatz zu anderen Arbeiten fanden sich bei Weber, et al., 1974 fast regelmäßig bei gesunden Tieren in allen Gruppen hohe Mengen an Colibakterien bzw. coliformen Keimen. Als besonders bemerkenswert wurde festgestellt, dass gerade Tiere im Alter von 5-8 Tagen in allen 4 Darmabschnitten die höchsten Colizahlen von 107-108/g Darminhalt aller Tiergruppen aufwiesen. Mit zunehmendem Alter nahm der Anteil der Colibakterien bis auf 102 105/g Darminhalt bei 6½-8 Wochen alten Tieren ab. Als Ursache der hohen Colizahlen in der vorliegenden Arbeit wurde die Bodenhaltung vermutet. Aus dieser keimreichen Umgebung können Bakterien über Futter, Trinkwasser und Einstreu bzw. auch ohne Nahrungsaufnahme in den Darmtrakt gelangen. Es gab aber in der Untersuchung keine erkrankten Tiere. Andere Untersuchungen zeigten, dass alleinige orale Verabreichungen von E. coli-Keimen auch in hohen Mengen nicht zum Entstehen von Dysenterien führten. Vielmehr traten solche immer nur in Verbindung mit anderen schädigenden Faktoren, wie z. B. einem gleichzeitigen Kokzidienbefall auf. Coliforme Keime können in der Darmflora bei Jungkaninchen in Abhängigkeit von den Umweltbedingungen also als normale Passanten vorkommen, allerdings muss ihr Nachweis allein selbst bei noch nicht abgesetzten Kaninchen nicht a priori auf eine krankmachende Bedeutung hinweisen14).

In einer weiteren Untersuchung von Matthes, 198115) wurde festgestellt, dass die Darmflora gesunder Kaninchen vorwiegend aus grampositiven Bakterien (Bacillus spec., Laktobazillen) und Vertretern der Bacteroidesgruppe bestand und dass sie bei gleichbleibender Fütterung und Haltung weitgehend konstant blieb. Störungen des Keimgleichgewichtes, die spontan auftreten können, gaben bei Jungkaninchen Anlass zu schweren Darmschäden mit meist tödlichem Ausgang.

Verschiedene Clostridienarten kommen üblicherweise im frischen Grünfutter vor und werden von Kaninchen aufgenommen. Einige dieser Arten wie z. B. Clostridium tyrobutyricum finden sich auch in Silage, wo sie am Gärungsprozess beteiligt sind. Clostridium perfringens dagegen ist eine pathogene Clostridienart, die von Zucker und Protein lebt und vor allem durch den Abbau von Aminosäuren „Fäulnis“ hervorrufen kann. Die Abbauprodukte von C. perfringens sind toxisch und können zu schweren Darmerkrankungen führen, die bei dem Verwesungsprozess entstehenden Gase zu Tympanie (Trommelsucht).

Interessant ist der Fakt, dass einige natürliche, essentielle Öle deutlich antibakterielle Eigenschaften aufweisen. So wirken Öle aus Kräutern wie Rosmarin, Oregano, Thymian, Salbei und Ingwer nachweisbar gegen pathogene Bakterien wie Escherichia coli, Staphylococcus aureus oder Clostridium perfringens16)17).


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1)
Montagne, L., Pluske, J. R. und Hampson, D. J. 2003. A review of interactions between dietary fibre and the intestinal mucosa, and their consequences on digestive health in young non-ruminant animals. Animal Feed Science and Technology. 2003, Bd. 108, 1, S. 95-117
2) , 13)
Biesalski, H. K., Bischoff, S. C. und Puchstein, C. 2010. Ernährungsmedizin. 4. Aufl. Stuttgart : Thieme, 2010. ISBN 978-3-13-100294-5
3) , 7)
Boulahrouf, A., Fonty, G. und Gouet, P. 1991. Establishment, Counts, and Identification of the Fibrolytic Microflora in the Digestive Tract of Rabbit. Influence of Feed Cellulose Content. Current Microbiology. 1991, 22, S. 21-25
4)
Munk, K. 2008. Taschenlehrbuch Biologie - Mikrobiologie. s.l. : Georg Thieme Verlag KG, 2008. Stuttgart
5)
von Engelhardt, W. und Breves, G. 2015. Physiologie der Haustiere. 4. Aufl. Stuttgart : Enke, 2015. ISBN 978-3830412595
6)
Hudson, R. und Distel, H. 1982. The Pattern of Behaviour of Rabbit Pups in the Nest. Behaviour. 1982, Bd. 79, 2/4, S. 255-271
8)
Kieckhäven, S. und Wolf, P. 2016. Untersuchungen zum intestinalen Mikrobiom bei Kaninchen - Literaturstudie. Züchtungskunde. 2016, 88, S. 208-215
9)
Fortun-Lamothe, L. und and Boullier, S. 2007. A review on the interactions between gut microflora and digestive mucosal immunity. Possible ways to improve the health of rabbits. Livestock Science. 2007, Bd. 107, 1, S. 1-18
10) , 14)
Weber, A., Christ-Vietor, M. und Schliesser, T. 1974. Untersuchungen zur bakteriellen Darmflora von Jungkaninchen in Abhängigkeit von Alter und Ernährung. Zbl. Bakt. Hyg., I. Abt. Orig. A. 1974, Bd. 229, 1, S. 109-116
11)
Christ-Vietor, M. 1973. Untersuchungen über die Darmflora von Jungkaninchen in Abhängigkeit von Alter und Ernährung. Gießen : Justus Liebig-Universität, 1973. Dissertation
12)
Blomberg, L., Henriksson, A. und Conway, P. L. 1993. Inhibition of adhesion of Escherichia coli K88 to piglet ileal mucus by Lactobacillus spp. Applied and Environmental Microbiology. 1993, Bd. 59, 1, S. 34-39
15)
Matthes, S. 1981. Untersuchungen über die bakterielle Darmflora von Kaninchen. Kleintierpraxis. 1981, 26, S. 383-386
16)
Burt, S. 2004. Essential oils: their antibacterial properties and potential applications in foods - a review. International journal of food microbiology. 2004, Bd. 94, 3, S. 223-253
17)
Du, E., et al. 2015. In vitro antibacterial activity of thymol and carvacrol and their effects on broiler chickens challenged with Clostridium perfringens. Journal of Animal Science and Biotechnology. 2015, Bd. 6, 1, S. 1-12
physiologie/darmflora.txt · Zuletzt geändert: 2023/09/27 20:37 von andreas

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