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Populationsgenetik

„Rabbits exhibit exceptional phenotypic diversity, are of great commercial value, and serve as important animal models in biomedical research.“
Carneiro et al., 20111)


Sowohl historische Berichte als auch jüngere populationsgenetische Analysen (z.B. Carneiro et al., 20112) oder Alves et al., 20153); siehe auch: Geschichte) deuten darauf hin, dass die heutigen Hauskaninchen allein von einer französischen Population der Unterart O. c. cuniculus abstammen, bei der sich während oder nach dem Eiszeitalter (Pleistozän), jedoch noch Tausende Jahre vor ihrer Domestikation, ein genetischer Austausch mit einer weiteren Unterart, O. c. algirus, ereignete. Im Vergleich zu anderen Tierarten fand die Domestikation von Kaninchen erst sehr viel später und ausschließlich in Westeuropa statt. Die Ergebnisse von Carneiro et al., 2011 lassen außerdem vermuten, dass die nacheiszeitliche Besiedelung Südfrankreichs durch O. c. cuniculus, ausgehend von der Iberischen Halbinsel, bzw. insbesondere der initiale Domestikationsprozess (Haltung von Wildkaninchen in Klöstern, ummauerten Gehegen oder auf kleinen Inseln; Zähmung ab etwa 600 n. Chr), mit einem starken genetischen Flaschenhals (Bottleneck) einherging: es waren wohl höchstens ∼1.200 Individuen - weibliche und männliche Tiere zu etwa gleichen Anteilen - an der Haustierwerdung beteiligt, und nur etwa 60% der in der französischen Ursprungspopulation vorhandenen genetischen Variabilität (oder: genetischen Vielfalt) sei erhalten geblieben.
Für ihre vergleichende Untersuchung von DNA-Sequenzen - autosomale und X-chromosomale Introns, weitere Fragmente - zogen sie Wildkaninchen (O. c. algirus aus dem Südwesten der Iberischen Halbinsel, n=10, und O. c. cuniculus aus dem Nordosten der Iberischen Halbinsel, n=12, oder aus Frankreich, n=15) sowie Hauskaninchen verschiedener Rassen (Hasenkaninchen, Champagne d'Argent, Chinchilla, Englische Widder, Englische Schecken, Burgunder, Französische Angora, Belgische Riesen, Kalifornier, Ungarische Riesen, Weiße Neuseeländer, Hermelin, Thüringer, Weiße Wiener und Rex; n=25) heran. Die Rassen wurden so ausgewählt, dass sie ein breites Spektrum von Phänotypen repräsentieren, möglichst alt und nur wenig miteinander verwandt sind, sowie verschiedene Nutzungszwecke widerspiegeln.

Ähnliche Ergebnisse erzielten Alves et al., 20154); hier wurde ein Verlust genetischer Variabilität von 12% während der nacheiszeitlichen Besiedelung Frankreichs, von 21% während dem folgenden initialen Domestikationsprozess, sowie von weiteren durchschnittlich 23% während der späteren Rassenbildung (16.-20. Jahrhundert) abgeleitet. Die Diskrepanz zu Carneiro et al., 2011 – 21% vs. ~40% – sei erklärbar durch 1) die Verwendung von Mikrosatelliten anstelle von SNPs (siehe Bestimmung genetischer Variabilität); 2) eine größere Stichprobe; 3) unterschiedliche Methoden der statistischen Auswertung.
Eine weitere, übereinstimmende Feststellung beider Arbeiten war die starke genetische Differenzierung zwischen den betrachteten Kaninchenrassen, d.h. die Rassen zeichneten sich durch weitgehend geschlossene, rassespezifische Genpools aus.
Alves et al., 2015 bezogen insgesamt 471 Kaninchen ein: Wildkaninchen der Unterarten O. c. cuniculus aus dem Nordosten der Iberischen Halbinsel (n=39) oder aus Frankreich (n=92); Hauskaninchen der Rassen Hasenkaninchen, Champagne d'Argent, Chinchilla, Englische Schecken, Englische Silber, Burgunder, Französische Angora, Französische Widder, Belgische Riesen, Kalifornier, Ungarische Riesen, Neuseeländer, Farbenzwerge, Castor-, Chinchilla- (und Weiß-)Rexe, Thüringer und Weiße Wiener (n=340).

Bestimmung genetischer Variabilität

Der vererbbaren phänotypischen Variabilität bei Lebewesen liegt meist eine genetische Basis, d.h. ein Polymorphismus auf DNA-Sequenzebene, zugrunde. Mit der Entwicklung molekularer Methoden ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde es möglich, diese genetische Variabilität zu bestimmen, und moderne Hochdurchsatz-Sequenziermethoden (next-generation sequencing, NGS) erlauben es sogar, Polymorphismusdaten über gesamte Genome hinweg zu ermitteln.
Molekulare Varianten, die beim Sequenzieren entdeckt werden, sind: Einzelnukleotidpolymorphismen (single nucleotide polymorphisms, SNP), Insertionen und Deletionen (sogenannte indels, Indels) oder repetitive Sequenzen (tandem arrays, Satelliten).5)

Eine Möglichkeit zur Quantifizierung der Variabilität einer Stichprobe (von n homologen DNA-Sequenzen) ist die Berechnung der Nukleotiddiversität π: sie beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass zwei zufällig gewählte Sequenzen einer Stichprobe an einer Nukleotidstelle verschieden sind.6)(S. 8)

In Carneiro et al., 20117) waren die Durchschnittswerte für πHauskaninchen vergleichbar mit Werten, die zuvor, in anderen Studien, für domestizierte Arten wie Rinder oder Hunde ermittelt worden sind, allerdings, sowohl für das X-Chromosom als auch für die Autosomen, deutlich kleiner als die entsprechenden Durchschnittswerte für πWildkaninchen (Tabelle 1).

Tabelle 1: Nukleotiddiversitäten für Wildkaninchen- und Hauskaninchenpopulationen (neun autosomale und sieben X-chromosomale Loki zusammengefasst)8)

Population Durchschnitt π (%)
O. c. algirus (Wildkaninchen, Iberische Halbinsel) 0,648
O. c. cuniculus (Wildkaninchen, Iberische Halbinsel) 0,625
O. c. cuniculus (Wildkaninchen, Frankreich) 0,368
O. c. cuniculus (Hauskaninchen) 0,195
(0,000-0,760 für die verschiedenen Loki)

In einer Folgestudie (Carneiro et al., 20129)) mit größerem Datensatz waren die ermittelten Nukleotiddiversitäten für Wildkaninchen (Tabelle 2) in etwa vergleichbar mit jenen aus Carneiro et al., 2011 (Tabelle 1) – Sequenziert wurde das Transkriptom aus Hirngewebe von jeweils sechs (je 3x weiblich und 3x männlich) nicht verwandten Tieren der beiden Unterarten O. c. algirus (insgesamt 3.547 Protein-codierende Gene) und O. c. cuniculus (insgesamt 3.484 Protein-codierende Gene); Referenzgenom: OryCun2.0 (siehe Referenzgenome).
Die Ergebnisse dieser Arbeit stützen außerdem die Annahme, dass das - im Vergleich zu anderen Säugetierarten wie des Menschen - sehr hohe Maß an genetischer Vielfalt beim Europäischen Wildkaninchen wahrscheinlich auf eine langfristig große effektive Populationsgröße (Ne) zurückzuführen ist.

Tabelle 2: Nukleotiddiversitäten für nicht-synonyme (NonSyn) und synonyme (Syn) SNPs bei Wildkaninchen10)

Unterart Durchschnitt π (%)
O. c. algirus Autosomal NonSyn 0,043
Syn 0,807
X-chromosomal NonSyn 0,012
Syn 0,467
O. c. cuniculus Autosomal NonSyn 0,038
Syn 0,722
X-chromosomal NonSyn 0,012
Syn 0,293

Neben der Nukleotiddiversität gibt es weitere Parameter, die sich als Indikator für genetische Variabilität eignen und zum Verständnis von Verwandschaftsbeziehungen (Rasse-Historie, Inzucht-Level) beitragen können (mehr dazu unter Populationsmanagement und Genomweite Assoziationsstudien).

Referenzgenome

Aufgrund seiner Position im phylogenetischen Stammbaum der Säugetiere (Ähnlichkeit zum menschlichen Genom) und seiner bedeutenden Rolle als Modelltier in der biomedizinischen Forschung wurde das Kaninchen für das „Mammalian Genome Project“ ausgewählt - in diesem Rahmen wurde erstmals das gesamte Genom einer Neuseeländer-Häsin sequenziert (Broad Institute, USA; Lindblad-Toh et al., 201111)). Das resultierende Referenzgenom aus dem Jahr 2005 wurde „OryCun1“ genannt. Kurz darauf wurde das Kaninchengenom ein zweites Mal vollständig sequenziert (OryCun2.0; Broad Institute, USA; 2009). Neben dem Kern-Genom enthält das verbesserte OryCun2.0 auch eine Zusammenstellung des mitochondrialen Genoms.

Tabelle 3: Referenzgenome der Art Oryctolagus cuniculus

Referenzgenom (Assembly) Ursprung (Rasse, Geschlecht) GenBank-NummernCoverage (x-fold) Gesamtlänge (Gb) Referenzen
OryCun1(.0) Weiße Neuseeländer (Thorbecke inbred), 0.1 AAGW00000000.1 (NCBI) 2,0 2,08 Lindblad-Toh et al., 201112)
OryCun2.0 Weiße Neuseeländer (Thorbecke inbred), 0.1 AAGW00000000.2 (NCBI)/ GCA_000003625.1 (EMBL-EBI/ Ensembl) 7,48 2,74 Lindblad-Toh et al., 201113); Carneiro et al., 201414)
UM_NZW_1.0 Weiße Neuseeländer (Lebergewebe), 1.0 VIYN00000000.2 (NCBI) 40,0 Bai et al., 202115)
mOryCun1.1 UK, 0.1 GCF_964237555.1 (NCBI) 31 2,8 Wellcome Sanger Institute, 2024; Darwin Tree of Life
1) , 2) , 7) , 8)
Carneiro, M., Afonso, S., Geraldes, A., Garreau, H., Bolet, G., Boucher, S., … & Ferrand, N. 2011. The genetic structure of domestic rabbits. Molecular biology and evolution, 28(6), 1801-1816.
3) , 4)
Alves, J. M., Carneiro, M., Afonso, S., Lopes, S., Garreau, H., Boucher, S., & Ferrand, N. 2015. Levels and patterns of genetic diversity and population structure in domestic rabbits. PLoS One, 10, e0144687.
5) , 6)
Stephan, W., & Hörger, A. C. 2019. Molekulare Populationsgenetik - Theoretische Konzepte und empirische Evidenz. Berlin: Springer. ISBN: 978-3-662-59427-8.
9) , 10)
Carneiro, M., Albert, F. W., Melo-Ferreira, J., Galtier, N., Gayral, P., Blanco-Aguiar, J. A., … & Ferrand, N. 2012. Evidence for widespread positive and purifying selection across the European rabbit (Oryctolagus cuniculus) genome. Molecular biology and evolution, 29(7), 1837-1849.
11) , 12) , 13)
Lindblad-Toh, K., Garber, M., Zuk, O., Lin, M. F., Parker, B. J., Washietl, S., … & Kellis, M. 2011. A high-resolution map of human evolutionary constraint using 29 mammals. Nature, 478(7370), 476-482.
14)
Carneiro, M., Rubin, C. J., Di Palma, F., Albert, F. W., Alföldi, J., Barrio, A. M., … & Andersson, L. 2014. Rabbit genome analysis reveals a polygenic basis for phenotypic change during domestication. Science, 345(6200), 1074-1079.
15)
Bai, Y., Lin, W., Xu, J., Song, J., Yang, D., Chen, Y. E., … & Zhang, J. 2021. Improving the genome assembly of rabbits with long-read sequencing. Genomics, 113(5), 3216-3223.
genetik/populationsgenetik.1763723558.txt.gz · Zuletzt geändert: von kathrin

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